"Verbote bringen nichts. Die müssen einfach lernen damit umzugehen. Das gehört schließlich dazu!"
Dieses Argument wird häufiger eingebracht, wenn man über die Forderung eines Gesetztes für Social Media ab 16 Jahren diskutiert. An dieser Stelle sei direkt gesagt, dass ein Konsens unter Expert:innen besteht, dass Social Media nicht per se schlecht sind und dass Kinder selbstverständlich im Verlauf lernen sollen, wie man bedacht und reflektiert damit umgeht.
Was wir nicht unterstützen, ist das 24/7 zur Verfügung stellen eines Suchtmittels an Kinder und Jugendliche.
Social Media (und auch andere Online-Dienste oder Online-Games) sind absichtlich so aufgebaut, dass sie bei uns allen potenziell Sucht erzeugen können (Belohungsreize fürs Gehirn, endless-scrolling, 24h-Sichtbarkeit, (rote) Notifications, personalisierte Werbung usw. usw.). Die gewählten (wirtschaftlichen) Strategien sind sehr gut und sehr erfolgreich gewählt worden. Fast jede:r hat sein Smartphone fast den ganzen Tag bei sich. Morgens geht der erste Blick in diesen "schwarzen Spiegel", tagsüber wird jede Millisekunde, in der die Gefahr von Langeweile droht, vom Rechteck ausgelöscht und abends wird zur Gute Nacht noch einmal drübergewischt. Wir Erwachsenen bekommen es häufig nicht gut hin, uns diesen manipulativen Wirkmechanismen selbstreguliert und bewusst entgegenzuetzen. Und von Kinder und Jugendlichen erwarten wir das? Wie vernünftig und kontrolliert waren Sie denn in Ihrer Jugend? Das kindliche/jugendliche Gehirn ist in einem wichtigen Umbauprozess, der durch alle Suchtmittel geschädigt wird. In dieser Phase der Gehirnentwicklung ist die "Vernunftabteilung" (der präfrontale Kortex) nicht annähernd so gut ausgebaut, wie der emotionale Bereich (das limbische System), der für eher impulsives, riskantes Verhalten in der Zeit "verantwortlich" ist. Wie soll ein solches Gehirn all die reflektierten, vernünftigen und selbstregulierten Entscheidungen treffen können, die wir bei der Nutzung der suchterzeugenden sozialen Medien fordern?
Social Media OHNE absichtliche suchterzeugende Wirkmechanismen und mit einer funktionierenden Moderation, wäre ja vielleicht nicht schlimm und sogar hilfreich. Sie wissen selbst, dass das utopisch ist.
Alkohol macht auch abhängig. Das wissen wir. Das wurde uns flächendeckend von Kindheit an vermittelt: von den Eltern, von der Schule, von der Gesellschaft, von der Politik und von den Medien. Wir würden ein 10-jährigens Kind nicht einfach jeden Tag mit einer Flasche Korn herumlaufen lassen - selbst, wenn es "eskaliert", sobald wir ihm die Flasche wegnehmen. Den Kampf würden wir führen, weil wir wissen, dass es schädlich ist und nichts für Kinderhände und das kindliche Gehirn ist. Die Sucht, die durch Medien entstehen kann, ist auch schädlich! Nur leider sehen wir das nicht direkt und wir haben - durch die gut gemachte Wirtschaftsstrategie - leider das Gefühl der Ohnmacht, dass das jetzt "einfach so dazugehört" und nicht wieder weggeht. Wir können aber durchaus handeln. Und wir können entscheiden, ob wir erst auf noch mehr negative Auswirkungen und dazugehörige Studien warten oder, ob wir aus den Erfahrungen mit Alkohol, Drogen und Nikotin lernen und vorher Maßnahmen ergreifen. Vielleicht ja auch mit Lockerungen, sollten wir keine Verbesserungen feststellen. Aber ist es nicht ein besseres Gefühl, Kinder einmal mehr geschützt zu haben, anstelle sie mit einem hohen Risiko eher sehenden Auges gefärdet zu haben?
Wir sollen und müssen Kinder aktiv bei der Nutzung begleiten und ihnen dabei helfen, sich verantwortungsvoll, bedacht und reflektiert in der Online-Welt zu bewegen. Keine Frage! Genauso begleiten wir Kinder bei den ersten Schritten im Straßenverkehr, bei den ersten Erfahrungen mit Alkohol und vielleicht sogar bei der ersten Zigarette. Und Alkohol und Zigaretten werden von einigen auch vor den gesetzlichen Altersgrenzen konsumiert, aber eben von Wenigeren (= Verhältnisprävention!).
- Ira-Katharina Petras
Was sind Argumente dafür?
Suchterzeugende Designs
Social Media Plattformen nutzen manipulative Gestaltungsmuster (sog. Dark Patterns), die das Nutzungsverhalten gezielt steuern und Suchtverhalten fördern. Laut einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und einer Krankenkasse zeigt bereits ein Viertel der 10- bis 17-Jährigen ein riskantes Nutzungsverhalten.
Quelle: Petition 177673
Psychische Belastungen
Empfehlungsalgorithmen fördern Inhalte, die unrealistische Schönheitsideale und Lifestyles propagieren. Dies führt häufig zu Selbstzweifeln, Depressionen und Essstörungen.
Quelle: Petition 177673
Cybergrooming
Social Media bietet Tätern ein einfaches Zugangstor zu Kindern. Sie werden sexuell belästigt oder der Kontakt zu ihnen wird gezielt zu sexuellen Zwecken aufgebaut.
Quelle: Petition 177673
Glücksspielähnliche Elemente
Funktionen wie „Likes“ und „Streaks“ aktivieren Belohnungssysteme im Gehirn und fördern exzessive Nutzung, die zu Lasten von Schlaf, Bewegung und Entwicklungsaufgaben geht.
Quelle: Petition 177673
Jugendgefährdende Inhalte
Plattformen sind nicht in der Lage, problematische Inhalte wie Gewalt, Kriegsverherrlichung, Selbstverletzungsanleitungen, pornografisches Material und extremistische Propaganda zuverlässig zu filtern.
Quelle: Petition 177673
Cybermobbing
Social Media Plattformen sind häufig Schauplätze von Cybermobbing, bei dem Kinder gezielt angegriffen und ausgegrenzt werden. Mit dauerhaften Folgen für ihre psychische Gesundheit.
Quelle: Petition 177673